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Die Menschen im Hunza-Tal in Pakistan sind weltberühmt, weil sie besonders lange leben sollen.







Bis heute wird über die angebliche Langlebigkeit des Bergvolkes gesprochen.







Das ist auch das Vermächtnis des Schweizer Arztes Maximilian Bircher-Benner, des Erfinders des Birchermüeslis.





Doch gab es die Langlebigkeit im Hunza-Tal überhaupt?







MYTHOS HUNZA-TAL

Eine Spurensuche zwischen Dichtung und Wahrheit

von Lia Pescatore









  • Video: Mehmood Ali Khan



In der Küche









  • Video: Lia Pescatore





Die Köchinnen Rashida Begum und Malika Sultana sind vorbereitet: Auf dem Herd ihrer Restaurantküche im Bergdorf Gulmit im Norden Pakistans blubbert Dawdo, eine säuerlich-milchige Suppe, in der hausgemachte Nudeln und Karotten schwimmen. Auch Teig steht bereit, um Chapik zu backen, dünne Fladenbrote, die mit Aprikosenkernöl oder Käse bestrichen werden.



Begum und Sultana kochen wie ihre Mütter und Grossmütter. Mit dem Getreide und dem Gemüse, das auf den Feldern des Hunza-Tals wächst. Mit den Früchten und Nüssen der Bäume. Mit wilden Kräutern, die auf kargen Hängen wachsen.



Der Esssaal im Restaurant ist leer. Doch Begum und Sultana wissen: Jederzeit könnte ein Bus anhalten und Touristen abladen, die auf der Durchreise sind....

... zur Hussaini-Hängebrücke,...

  • Bild: Lia Pescatore

...zum Passu-Gletscher...

...oder zur ehemaligen Hauptstadt Karimabad.

Viele Touristen kommen zu Begum und Sultana, um sich zu verpflegen. Und vor allem: um die sagenumwobene Hunza-Küche zu kosten.



Das Hunza-Tal liegt im Norden Pakistans, eingekesselt zwischen einigen der höchsten Berge der Welt. 65 000 Menschen wohnen hier, auf mehr als 2000 Metern über Meer, in grünen Oasen zwischen Fels- und Geröllwüsten. Das Hunza-Tal ist nicht das einzige pittoreske Bergtal im Norden Pakistans. Aber das bekannteste. Die Bewohner sind wegen ihrer naturbelassenen, fleischarmen Küche weltberühmt geworden.

Vor hundert Jahren lebte das Bergvolk im Hunza-Tal ein einfaches Leben inmitten karger Landschaft. Doch schon damals wurde es vom Westen als Ursprung der Zivilisation gefeiert. Antimodernisten, Spirituelle und Abenteurer erkoren das Tal zu ihrem Sehnsuchtsort.

Die bescheidene Lebensweise der Einheimischen galt als Garant für ein gutes Leben. Nirgends, so hiess es, lebten die Menschen gesünder und länger. Der Mythos der Langlebigkeit entstand und wurde über Jahrzehnte gepflegt und angereichert. Er brachte dem Tal viel Geld.

Dass Hunza so berühmt wurde, so oft beschrieben, überhöht und verklärt wurde, hat auch mit einem Schweizer zu tun. Mit dem Arzt Maximilian Bircher-Benner, dem Erfinder des Birchermüeslis.

Yak-Burger statt Dawdo-Suppe



  • Video: Lia Pescatore



Begums und Sultanas Restaurant steht am Karakorum-Highway. Die Schnellstrasse hat das Hunza-Tal vor 45 Jahren im Süden mit dem Rest Pakistans verbunden und im Norden mit China. Jetzt ist Nebensaison, doch ständig brettern Busse und Motorräder am dünnwandigen Restaurant vorbei.

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Die Touristen brächten viel Geld ins Tal, sagen Begum und Sultana, aber auch neue kulinarische Vorlieben: für zuckersüssen Tee, für scharfes Essen, für Fast Food. In der Nähe des Restaurants haben in den vergangenen Jahren Gaststätten eröffnet, die Pizza mit Hunza-Kräutern oder Burger mit Yak-Fleisch anbieten.

Die Hunza-Küche sei bedroht und damit die gesunde Lebensweise, sagt Begum. Ihren Kindern schmeckten die traditionellen Gerichte nur noch mit Chilisauce. Und Sultana sagt, dass ihr Schwiegervater über 90 Jahre alt geworden sei. Sie selbst habe mit Mitte vierzig bereits beide Knie operieren müssen. Die Langlebigkeit der Hunzas sei Vergangenheit.

Die Langlebigkeit: Gab es sie überhaupt? Und was hat es mit dem Mythos des Hunza-Tals auf sich? Was ist Dichtung, und was ist Wahrheit? Und wer profitiert?





Vom Paradies auf Erden







Das Hunza-Tal ist weit abgelegen, doch isoliert war es nie. Vor zweitausend Jahren reisten Pilger und Abenteurer aus Süd- und Zentralasien durch das Tal, aus Iran, China oder Tibet. Die alte Seidenstrasse führte hier durch.

Ende des 19. Jahrhunderts begann die Mystifizierung Hunzas. Damals wurde das Tal, ein Königreich, von den Briten eingenommen. Diese hatten sich 1891 im «Great Game» durchgesetzt, dem kolonialistischen Wettstreit mit den Russen. Der König Mir Safdar floh, sein Nachfolger wurde zur rechten Hand der Briten. Das Tal galt als befriedet und öffnete sich für Wagemutige aus dem Westen.

Die Abenteurer brauchten mehrere Tage zu Fuss und auf dem Pferd, um ins Tal zu gelangen. Sie mussten Flüsse überqueren, sie mussten ihre Pferde am Schwanz abseilen. Und doch nahmen immer wieder Reisende den Weg auf sich. Ihnen war das Paradies auf Erden versprochen worden.

Die Bergsteiger, Sprachforscher, Ornithologen aus dem Westen, die es bis ins Tal geschafft hatten, kehrten mit sagenhaften Erzählungen zurück. Sie berichteten von einem «unorientalischen» «Griechenvolk am Himalaja», von gestählten Mannen, die Künstler wie Rodin erfreuen würden. Von Sprachen, die es sonst nirgends gebe. Von 90-Jährigen, die Kinder zeugten. Von einem Volk, das nach uralten Bräuchen friedlich und zufrieden lebe.

Es war die Entstehung des Hunza-Mythos.

Das Hunza-Tal ist mit Terrassen überzogen, die die Menschen vor hunderten Jahren angelegt haben.

  • Bild: Irene von Unruh/ Museum Fünf Kontinente



Die Erzählungen aus dem Hunza-Tal fesselten all jene, die glaubten, die westliche Gesellschaft bewege sich mit dem Fortschreiten der Moderne und der Industrialisierung Richtung Abgrund. Die britische Autorin Emily Overend Lorimer, die 1934 fünfzehn Monate in Hunza lebte, schrieb, das Leben der Hunza sei zwar «materiell primitiv», doch «hochkultiviert», fern von der «kranken Müdigkeit und dem sehnenden Zweifel, der Unrast und dem angstvollen Jagen der Zivilisation».

Auch in der deutschsprachigen Lebensreformbewegung des frühen 20. Jahrhunderts wurde die Lebensweise der Menschen in Hunza hochstilisiert, zu einer Antwort auf die Gebrechen der Zivilisation.

Einer der wichtigsten Fürsprecher: Maximilian Bircher-Benner.



Wie das Birchermüesli pakistanisch wurde



  • Bild: Bircher-Benner Archiv, Universität Zürich



Maximilian Bircher-Benner lebte und praktizierte damals in Zürich und glaubte, dass Krankheiten mit einer pflanzenbasierten Ernährung vorgebeugt werden könnten. Er verordnete seinen Patienten weniger Fleisch und mehr Bewegung. Und gehörte damit einer Minderheit an. Es war eine Zeit, in der bei Mahlzeiten nur der Fett- und der Proteingehalt zählten.

Als Maximilian Bircher-Benner zum ersten Mal von den Menschen in Hunza und ihrem scheinbar kargen und dennoch glücklichen Lebensstil hörte, glaubte er, endlich die Legitimation für seine Lebens- und Ernährungstheorie gefunden zu haben. Die Hunza-Leute ernährten sich angeblich genau so, wie er das vorschrieb – und lebten äusserst lange.

«Wie heisst es, jenes Volk, das keine Krankheiten kennt? «Die Hunsa … sie sind der Beweis»

Maximilian Bircher-Benner

Bis heute ist zu lesen, dass sich Maximilian Bircher-Benner das Rezept des berühmten Birchermüeslis von den Leuten in Hunza abgeschaut habe. Doch das erste Birchermüesli-Rezept soll von 1900 datieren, Maximilian Bircher-Benner hat jedoch erst 1930 vom Hunza-Tal erfahren.

Das Hunza-Tal wird noch heute mit Maximilian Bircher-Benner und dem Birchermüesli in Verbindung gebracht. Dies ist auch dem Sohn Ralph Bircher zu verdanken. Er übernahm die Faszination seines Vaters für das pakistanische Bergvolk und veröffentlichte 1942 ein Buch über das Hunza-Tal.

Das Werk war ein grosser Erfolg und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Doch dann gab es Widerspruch. Und die Erzählung von der sauberen und gesunden Bevölkerung wurde angezweifelt.

Der Geologe John Clark will im Hunza-Tal während zweier Reisen 5000 kranke Menschen behelfsmässig medizinisch versorgt haben. Auch die berühmte Schweizer Reisejournalistin Ella Maillart berichtete von Frauen mit Kropf, einer Ausstülpung am Hals.



Die deutsche Ärztin Irene von Unruh reiste 1954 ins Hunza-Tal.

  • Bild: Irene von Unruh/Museum Fünf Kontinente

Am deutlichsten wurde die deutsche Ärztin Irene von Unruh. Sie war 1954 mit hohen Erwartungen ins Hunza-Tal gereist, inspiriert durch die Schwärmereien der Birchers. Von Unruh wurde bitter enttäuscht. Auf Schritt und Tritt sei sie von Kranken verfolgt worden, überall habe es nach «Urin und Fäkalien» gerochen. Bei ihren Patienten stellte sie chronische Augenkrankheiten fest, Haut- und Schleimhautinfektionen, Magen- und Darminfektionen. Oder Tuberkulose.

Mehr Gefängnis als Paradies



  • Bild: Mehmood Ali Khan



Der Mythos der Langlebigkeit der Hunzas sei einfach zu widerlegen, sagt der deutsche Humangeograf Hermann Kreutzmann, der in den vergangenen vierzig Jahren über das Hunza-Tal geforscht hat. Kreutzmann ist mehrere Dutzend Male ins Tal gereist, hat Archive in St. Petersburg, London und Delhi besucht, um Tagebücher von Kolonialbeamten und Protokolle von Bergsteigerexpeditionen zu lesen.

Auch auf Reiseliteratur ist Kreutzmann gestossen. Die Berichte und Rezeptsammlungen füllen ein ganzes Regalbrett in seiner Wohnung in Berlin. «Hunza-Humbug» nennt Hermann Kreutzmann die Sparte.

Diese Werke haben mit der Realität wenig zu tun. Sie sind eine beschönigende Darstellung einer Hungersnot.

Hermann Kreutzmann



Der Mir, so wurde der König des Hunza-Tals genannt, und seine Angehörigen hätten über Jahrzehnte «ein Puppenspiel» für die Reisenden aufgeführt, sagt Kreutzmann. Sie hätten den Touristen die Mär von der Langlebigkeit und dem himmlischen Leben schmackhaft gemacht. Und sich dafür fürstlich bezahlen lassen.

Der Mir spielte den Besuchern das Paradies vor, doch für seine Untertanen glich das Tal einem Gefängnis zwischen steilen Felswänden.

Er bestimmte, wer einreisen konnte, aber auch, wer das Tal verlassen durfte – und das waren wenige. Die untersten Schichten wurden als Karawanenträger benutzt, mussten Getreidespeicher füllen, Feuerholz sammeln oder in den Flüssen Gold schürfen. Ohne Entlöhnung.

Wer Widerstand leistete, wurde in den Kerker gesteckt oder zur Fronarbeit in ein abgelegenes Seitental gebracht. «Die Menschen flohen in der Nacht und zu Fuss in die Sowjetunion oder nach Karachi», sagt der Forscher Hermann Kreutzmann. «Diese Fluchtversuche zeigen, wie schlecht es den Menschen ging.»

Der Mir kontrollierte damals Hunza – und auch das, was über das Tal geschrieben wurde. Er bestimmte bis in die 1970er Jahre, wo die Forscher hingehen und wen sie befragen durften.

Das Königreich Hunza hatte sich bereits 1947 zu Pakistan bekannt, doch erst 1974 entzog die pakistanische Regierung dem Mir die Macht. Bis heute spaltet die Mir-Herrschaft das Tal, spaltet Dörfer und Familien: Die einen wünschen sich den König zurück an die Macht, die anderen geniessen ihre Freiheiten.

Nur ein Vermächtnis des Mirs scheint unbestritten: der Langlebigkeitsmythos. Sogar bei den Ärzten im Tal.





Im Spital



  • Video: Lia Pescatore

Das nördlichste Spital in Hunza befindet sich wenige Gehminuten vom Restaurant von Sultana und Begum entfernt.

Zuhaib Khan, 30 Jahre alt, leitet das Spital seit eineinhalb Jahren und ist für die 25 000 Menschen zuständig, die irgendwo zwischen dem Attabad-See und dem Dorf Chipursan leben.

Im Sprechzimmer von Zuhaib Khan reihen sich Medikamente auf einem hölzernen Tisch. Es sind Werbegeschenke, die Khan seinen Patienten gratis abgibt. Khan wirkt entspannt, die Patientin im Wartesaal hat er mit einem Rezept für Schmerzmittel versorgt. Die zehn Betten des Spitals sind leer. Nur die Stimmen der Angestellten hallen durch den Gang.

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Zuhaib Khan erzählt, und seine zwei Kollegen stimmen ihm zu. Eine Statistik, die den Mythos der Langlebigkeit stützt, gibt es nicht. Die Ärzte verweisen an die Behörden, die ihrerseits eine Anfrage bei den Nichtregierungsorganisationen empfehlen, die das Tal medizinisch versorgen. Und die NGO verweisen wiederum an das statistische Amt in Islamabad. Aber auch dort gibt es kaum Erhebungen.

Die Verteidigung eines Lebenswerkes

Der Mythos der Langlebigkeit wurde auch darum so lange aufrechterhalten, weil Menschen im Westen profitierten. Hermann Kreutzmann sagt, dass sich die Verleger der Reiseliteratur bis in die 1980er Jahre eine «goldene Nase» mit den Hunza-Geschichten verdient hätten. Einer von ihnen: Ralph Bircher. Er verkaufte sich als Hunza-Experte, ohne jemals selbst nach Pakistan gereist zu sein.

Ralph Bircher wurde bald für seine beschönigende Literatur kritisiert, insbesondere von der deutschen Ärztin Irene von Unruh. Sie griff Ralph Bircher an, als sie 1955 ihre Sicht auf die Gesundheitslage im Hunza-Tal unter dem Titel «Traumland Hunza» publik machte. «Es ist eben nicht jeder ein Friedrich Schiller, der einen ‹Wilhelm Tell› schaffen konnte, ohne in der Schweiz gewesen zu sein!», schrieb sie in ihrer Konklusion – und meinte Ralph Bircher.

Erstausgabe des Buchs über Hunza

Zu dem Zeitpunkt, als das Buch von Irene von Unruh erschien, hatte Bircher seinen Text bereits mehrmals aufgelegt und ins Französische übersetzen lassen – weitere Auflagen und Übersetzungen standen in Aussicht. Von Unruh bedrohte sein Geschäft und das Lebenswerk seines Vaters. Also konterte Bircher.

Er diffamierte Irene von Unruh mit der Unterstützung seiner Mitstreiter. Im «Wendepunkt», dem Magazin der Birchers, schrieb er 1956, von Unruh versuche mit «Kurzsichtigkeit und Unbesonnenheit» das Anliegen seines Vaters zu gefährden. Bircher suchte in seiner Hetzkampagne auch Unterstützung im Hunza-Tal und wandte sich an den mächtigsten Mann, den Mir, der den Mythos der Langlebigkeit selbst aufrechterhalten wollte.

Irene von Unruh wurde verschmäht und verleumdet und zog sich desillusioniert aus der Lebensreformbewegung zurück.

Tourismus ohne Mythos







Heute glauben sogar die Einheimischen kaum mehr an den Zauber der Langlebigkeit.

Die angeblich 104-jährige Bibi Mad in Gulmit beklagt, dass die Leute nur noch das Geld im Kopf hätten und andere für sich arbeiten liessen, statt sich selbst um Felder und Wasserkanäle zu kümmern.

Der 80-jährige ehemalige Touristenführer Hoor Sha in Karimabad sagt, die Menschen würden sich heutzutage zu stark vergleichen. Früher hätten alle in denselben Steinhütten gewohnt. Heute müssten die Häuser immer grösser, immer luxuriöser sein. All dies mache die Leute krank.

Die 104-jährige Bibi Mad hat den Grossteil ihres Lebens auf Weiden im Hochgebirge verbracht.

Der 80-jährige Hoor Sha hat früher Touristen durch die ehemalige Festung des Mirs geführt.

Und da ist der Massentourismus, der neue Probleme bringt. Der Karakorum-Highway ist mit Abfall gesäumt. Im Tal wird es eng. Auswärtige Investoren bauen neue Hotels, Restaurants, Souvenirshops, wo früher Felder waren. Die Dörfer und Städtchen, in denen es sich halbwegs sicher vor Gletscherstürzen, Erdrutschen und Erdbeben leben lässt, sind überfüllt. Und doch sehen viele Leute im Tourismus die Zukunft für das Tal.

Raja Hussain Ali Khan ist der Urenkel des zweitletzten Mirs. Ihm gehört das älteste Hotel im Tal, das «Marcopolo Inn», ebenfalls im Dorf Gulmit gelegen.

«Der Tourismus ist unser Ausweg», sagt Hotelbesitzer Raja Hussain Ali Khan.

Vor kurzem hat er den flachen Hotelbau mit mehreren Jurten im Garten ergänzt. Denn es kommen so viele Touristen wie noch nie ins Hunza-Tal, über eine Million jährlich, mehrheitlich aus den Städten Pakistans. Khan sieht die Entwicklung positiv: «Wir brauchen keine Fabriken hier, der Tourismus ist unser Ausweg.»

Raja Hussain Ali Khan ist geübt darin, das Tal an Touristen zu verkaufen. Während einer Führung durch den ehemaligen Wintersitz der Mir-Familie, ebenfalls in Gulmit, schwärmt er von der hohen Bildungsquote, der schmalen Kluft zwischen Arm und Reich, von der Gleichberechtigung der Frauen, die hier als Richterinnen arbeiteten und Geschäfte und Firmen führten.

Khan macht klar: Den Mythos der Langlebigkeit gibt es schon. Doch für den Tourismus scheint er irrelevant geworden zu sein. Die Touristen kommen heute wegen der Aussicht auf blasse Kirschblüten zwischen schneebedeckten Gipfeln, auf das strahlende Türkis des Attabad-Sees, wegen der Landschaft statt der Bewohner.

Die Mär von der ausserordentlichen Gesundheit der Hunza-Bewohner bleibt dennoch erhalten. Sie hat sich längst im Internet eingenistet, auf Websites von Naturheilern, in Blogbeiträgen, in Videos von Abenteurern, die in abgeschiedenen Bergtälern nach Antworten auf die Probleme der Moderne suchen. Dank ihnen bleibt eines noch lange erhalten: das Bild Hunzas als schutzwürdiges Fragment aus vergangenen, besseren Zeiten. Als Vorbild für ein gesundes, glückliches Leben.

Der Mythos Hunza: Er ist das Einzige, was sich in diesem Tal wirklich als langlebig erwiesen hat.